Nachdem es mich schon ein ganzes Leben lang gereizt hat, Inspizient für das Musiktheater zu werden, ist mir nun, nach einigen kleineren Möglichkeiten in der Vergangenheit und natürlich den Möglichkeiten bei den eigenen Produktionen, das erste Engagement geglückt und ich habe anderthalb Jahre am Hessischen Staatstheater die Hälfte der Produktionen am Großen Haus geleitet.
Tatsächlich, und das wurde mir zuvor auch schon verschiedentlich angedeutet, habe ich auch danach sowohl den ersten Einspringer in dem Gebiet am Theater Bielefeld gehabt, als auch mehrere Anfragen danach.
Es ist also an der Zeit, auf der eigenen Seite Bezug darauf zu nehmen und einige Referenzen und Begebenheiten rund um diesen schönen und verantwortungsvollen Beruf kund zu tun.
Zuerst – was macht ein Inspizient.
Immer wieder kamen in den letzten Monaten Menschen auf mich zu und fragten, was ein Inspizient eigentlich sei. Für mich, der ich über dreißig Jahre am Theater verbracht habe, ist das natürlich klar. Ich stand ja auch auf der Bühne oder war hinter den Kulissen tätig.
Der Zuschauer bekommt den Inspizienten allerdings nur am Rande mit.
Eigentlich bei Vorstellungen, die reibungslos laufen, nur durch die Einlassklingel, die auch vom Inspizienten bedient wird, und weil er im Laufzettel des Abends erwähnt wird.
Selten wird man den Inspizienten bemerken, obwohl ohne ihn keine Vorstellung stattfinden würde.
Ich versuche oft Vergleiche zu finden und denke am ehesten lässt sich der Inspizient vielleicht mit einer Mischung aus Fluglotse und Pilot vergleichen, oder mit den Lotsen, die Schiffe in den Hafen steuern.
Der Inspizient überwacht bzw. managed – wie es neudeutsch heißen wird – den Abend vom allerersten Beginn bis zum Schluss. Ohne ihn geht der Vorhang nicht hoch, ohne ihn ändert sich kein Bühnenbild, gäbe es keine Lichtstimmungen, keine Verwandlungen, keine Darsteller auf der Bühne, nichts…
Er sitzt – in der Regel – an einem großen Steuerpult, vergleichbar mit Tonpulten oder Lichtpulten von Veranstaltungen, und hat neben Knöpfen und Schaltern, die über Lautsprecher Kontakt zu allen, wirklich allen Räumen des Theaters ermöglichen, ein bis viele Monitore vor sich, auf denen er verschiedene Bereiche der Bühne und des Publikums überwachen kann…
Dann hat er ein vollständig eingerichtetes Textbuch bzw. einen Klavierauszug oder eine Partitur des Werkes vor sich; und dann beginnt der Ablauf des Abends:
Neben der ersten Überprüfung aller Bühnenbereiche und des Informationsaustausches mit den Bühnen-, Beleuchtungs- und anderen Meistern, ist die Begrüßung aller Mitwirkenden seine Aufgabe.
Der Inspizient trägt die Verantwortung für korrekte Einrichtungen des Abends und überprüft die Anwesenheit aller DarstellerInnen.
Es gibt viele Kleinigkeiten, die er vor Beginn einer Vorstellung erledigt.
Eine Hauptaufgabe liegt dann in der Kontrolle des „Eisernen Vorhangs“ und der eingetragenen feuerschutzbezogenen Informationen, die er zusammen mit der Feuerwehr durchgeht. Dann erst kann der Hauptvorhang geschlossen werden und der Einlass beginnen.
Und weiter?
Eine gelungene Theateraufführung ist ein präzises Zusammenspiel aus Kunst, Technik und Organisation – und als Inspizient bin ich derjenige, der dieses Zusammenspiel im Hintergrund steuert.
Ich sorge dafür, dass jede Inszenierung genau so auf die Bühne gelangt, wie sie geplant wurde, und dass alle Abläufe nahtlos ineinandergreifen.
Meine Position ist nicht nur eine organisatorische, sondern eine essenzielle Führungsaufgabe: Ohne eine zuverlässige Koordination bleibt jede künstlerische Vision Theorie.
Ist in unserer modernen Theaterwelt kein Inspizient da, findet in der Regel keine Vorstellung statt.
Mit über 30 Jahren Theatererfahrung verstehe ich mich als die zentrale Schnittstelle zwischen Regie, Darstellern, Technik und allen kreativen Gewerken. Vom ersten Durchlauf bis zur letzten Vorstellung halte ich alle Fäden zusammen, behalte das Timing im Blick und bin immer einen Schritt voraus. Während das Publikum in die Welt der Inszenierung eintaucht, stelle ich sicher, dass sie ohne Störungen lebendig wird.
Ein Inspizient muss nahezu alle Bereiche des Theaters kennen und in vielen davon praktische Erfahrung mitbringen: Von der Bühnentechnik über Licht und Ton bis hin zu Requisite, Maske und künstlerischen Abläufen – ich verstehe die Anforderungen und Herausforderungen jeder Abteilung und kann mit allen Beteiligten auf Augenhöhe kommunizieren. Dieses breite Wissen ermöglicht es mir, ein tiefes Verständnis für den gesamten Produktionsablauf zu entwickeln und in kritischen Momenten die richtigen Entscheidungen zu treffen.
Ein guter Inspizient erkennt Probleme, bevor sie entstehen, bleibt gelassen, wenn sie entstehen und weiß nicht nur, wen er ansprechen muss, sondern auch, wie er selbst eingreifen kann, um den Ablauf zu sichern.
Darüberhinaus ist ein umfangreiches Repertoirewissen Voraussetzung für ein entspanntes Leiten der jeweiligen Produktionen. Ein Vorteil, den ich als Theaterschaffender mitbringen kann, da ich jahrelang Opern, Schauspiele und Ballette erlebt und durchlebt habe. Als Darsteller, Sänger, Regisseur oder Ausstatter stehe ich auf professionellen Bühnen seit bald vierzig Jahren.
Meine Rolle ist genauso essenziell wie die des Regisseurs oder Dramaturgen, denn ohne meine präzise Steuerung bleibt jede Inszenierung Theorie. Nicht umsonst wird der Beruf im englischsprachigen Raum als Stagemanager bezeichnet.
Ich kenne die Anforderungen aller Abteilungen, verstehe ihre Arbeitsweisen und kann im Ernstfall in verschiedenen Bereichen selbst eingreifen.
Ich spreche die Sprache der Bühnentechnik ebenso sicher wie die der Künstler und verstehe sowohl dramaturgische als auch technische Notwendigkeiten.
Ich reagiere vorausschauend und entscheide in Sekunden, um den Bühnenbetrieb störungsfrei zu halten.
Ich bringe nicht nur Erfahrung, sondern auch eine unerschütterliche Leidenschaft für das Theater mit.